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„Böse Nachbarn, vertraute Feinde“ - Israel und die Philister

Ein Rückblick auf die Antrittsvorlesung von Assist.-Prof. Katja Soennecken

10.02.2022

Die „Philister“ stehen heute sprichwörtlich für negativ beurteilte Andersartige; sie wurden zum Sinnbild für Spießbürgertum, geistige Enge und Kulturlosigkeit.

Wie kam es dazu? Unser negatives Bild von den Philistern stammt aus deren Beschreibung in der hebräischen Bibel, dem Alten Testament. Dort werden die Philister (pars pro toto für alle „Seevölker“) negativ als die „Anderen“ charakterisiert, die Unbeschnittenen, die Eingewanderten. Sie gehörten zu einem anderen Kulturkreis als die ortsansässigen Israeliten und Judäer und opferten fremden Göttern. Im Laufe der biblischen Überlieferung wurden diese unliebsamen Nachbarn zum „Erzfeind“ bzw. „Lieblingsfeind“ des „Volkes Israel“ bzw. des später entstehenden Judentums.

Die für das Erscheinen der „Seevölker“ auf der Bühne der Weltgeschichte relevante Zeit (kulturgeschichtlich der Übergang von der Späten Bronzezeit zur Eisenzeit I) wird in den Büchern Josua und Richter beschrieben. Doch diese Berichte sind nur mit größter Vorsicht als historisch verlässliche Quelle zu sehen.

Von den bekannten Gruppen der „Seevölkern“ werden biblisch nur die Philister (פְלִשְׁתִּים) erwähnt. Vermutlich waren zur Abfassungszeit der biblischen Texte nur noch die in der Pentapolis lebenden Philister – als engste Nachbarn und vertraute Feinde – im kulturellen Gedächtnis vorhanden.

 

Abb. 1: Karte mit der Pentapolis und dem Gebirge Gilboa (Copyright K. Soennecken)

Aus der Vielzahl der biblischen Texte soll eine besonders erwähnt werden: Die Geschichte von Sauls Tod (1 Sam 31; 1 Chr 10). Die Philister errangen einen überwältigenden Sieg gegen die Israeliten am Gebirge Gilboa. Die Israeliten, die „jenseits der Ebene und gegen den Jordan wohnten“ (nördlich der Jesreel-Ebene und östlich des Jordans) flohen daraufhin und ihre Wohnstätten wurden von den Philistern übernommen. Den toten Saul und seine Söhne köpften sie und hingen seine Leiche an der Mauer von Bet-Shean auf.

Überraschend ist bei dieser Geschichte auf den ersten Blick die Lokalisierung der Schlacht am Gebirge Gilboa – weit außerhalb des biblisch berichteten Kernlands der Philister. Da die Erzählebene stimmen muss, um die theologische Botschaft glaubhaft zu übermitteln, muss angenommen werden, dass es zumindest zu einer Zeit in der Geschichte eine philistäische Präsenz in Bet-Shean und dem oberen Jordantal/in Transjordanien gab. Ob es sich dabei tatsächlich um Philister oder andere „Seevölker“ handelte oder eventuell Söldner im Dienst der Ägypter, muss offenbleiben.

Die biblischen Texte wollten keine ausgewogene Darstellung dieses anderen Volkes liefern. Sie wurden mit einer bestimmten Intention geschrieben und sind Propaganda gegen diese „Feinde Gottes“, die „Anderen“, die um das fruchtbare Land konkurrierten und gegen deren Religion es sich abzusetzen galt.

Ohne die archäologischen Quellen wäre unser Bild der Philister (wie auch der „Seevölker“ im Allgemeinen) wohl bis heute derart negativ, denn erst die Ägyptologie, die Vorderasiatische und die Biblische Archäologie haben es den Philistern erlaubt, aus dem Schatten der alttestamentlichen Erzählungen herauszutreten und ein vielgestaltiges Bild ihrer Kultur zu zeichnen.

Das Phänomen der „Seevölker“ ist eines der am meisten diskutierten innerhalb der archäologischen Forschung der Späten Bronzezeit und Eisenzeit in der südlichen Levante. Diese Gruppen geben Rätsel auf: Wer waren sie? Woher kamen sie? Wie setzen sie sich zusammen? Welche Rolle spielten sie beim Umbruch der Späten Bronzezeit zur Eisenzeit? Nach über 100 Jahren Forschung sind die meisten dieser Fragen noch immer ungelöst.

Von den ägyptischen Quellen, die von einer versuchten Invasion von „Seevölkern“ im Nildelta berichten ist Medinet Habu die gewichtigste. Verschiedene Gruppen dessen, was wir heute als „die Seevölker“ bezeichnen, tauchen zu unterschiedlichen Zeiten in den ägyptischen Quellen auf, aber die Migrationserzählung wird in erster Linie aus dem Medinet-Habu-Programm am Totentempel von Ramses III. (1184-1153 v. Chr.) interpretiert. Dieses enthält sowohl Texte als auch Bilder, die die „Invasion der Seevölker" und ihre Niederlage durch die Hand des Pharaos beschreiben.

 

Abb. 2: Der Totentempel in Medinet Habu; 1) Die Landschlacht; 2) die Seeschlacht (dazwischen befindet sich die Löwenjagd); 3) Inschrift aus dem 5. Regierungsjahr; 4) Inschrift aus dem 8. Regierungsjahr; Copyright Steve D.E.Cameron Wikimedia Commons (Bearbeitung durch K. Soennecken)

 

Abb. 3: Detail der Seeschlacht; Copyright J.H. Breasted, Medinet Habu – Volume I. Earlier Historical Records of Ramses III (Chicago 1930),        Pl. 37

Der heutige archäologische Forschungsstand geht nicht mehr von einer Eroberung aus, nicht mehr von einer heterogenen Gruppe, auch wenn die Interpretationen auseinander gehen. Der Begriff „Philister“ bezeichnet eine Gruppe, die nicht lokal in der südlichen Levante heimisch war – die in sich jedoch diverse kulturelle Unterschiede aufweist. Ebenso ist der Begriff „Seevölker“ ein Sammelbegriff, deren Zusammensetzung sich nicht in klare ethnische Gruppen aufteilen lässt. Klare ethnische Grenzen sind in der Eisenzeit I nicht anzunehmen, sondern scheinen mehrheitlich Zuschreibungen von außen, Ideologien, zu sein. In der letzten Zeit hat sich der Fokus in der Forschung über die „Seevölker“ verlagert: von den Fragen der Herkunft, Ethnizität, Chronologie und Siedlungsgeschichte hin zu Fragen des Zusammenspiels von Einwanderern und lokaler Bevölkerung, Identitätsbildung und -entwicklung.

Üblicherweise werden kulturelle Marker wie lokal hergestellte mykenische-IIIC-Keramik oder ägäische Webgewichte sowie Architektur im ägäischen Stil benutzt, um „Seevölker“ im Grabungsbefund nachzuweisen. Natürlich können derartige Objekte oder Gebäude auch von Einheimischen adaptiert worden sein, die sich an den „Seevölkern“ orientierten. Daher ist Vorsicht geboten: Ihr Auftreten weist nicht direkt auf Ethnien hin. Deren Identität ist komplex und im archäologischen Befund nur schwer zu greifen. Dennoch sollte das Zusammenspiel vieler solcher „Marker“ (spezielle Keramik, ungebrannte Webgewichte, Hundeknochen, Metallherstellung, neu in die südliche Levante eingeführte Pflanzen und Technologien) auf den Einfluss von nicht-lokalen Personengruppen innerhalb der Bevölkerung hindeuten.

Ein besonderes Augenmerk der Forschung lag stets auf den Peleset/Philistern, da diese aus biblischen Texten bekannt waren. Erst langsam entwickelt sich ein Interesse an den anderen Gruppen sowie im Bereich außerhalb des Kernlandes. Eine Beschäftigung mit dem Phänomen auf transjordanischer Seite steht – bis auf einige wenige zaghafte Vermutungen einzelner Ausgräber – noch aus. Damit beschäftigt sich die Habilitation sowie einige Forschungsprojekte von Katja Soennecken.

Welche Rolle spielen die Philister heute im Nahost-Konflikt?

Dies scheint eine abwegige Frage zu sein, jedoch sehen sich die Palästinenser als Nachfahren der Philister und begründen so ihren Anspruch „länger im Land“ zu sein. Wie kann das sein? Dazu müssen wir noch einmal einen Blick zurück in die Geschichte werfen: In der Folge des Bar Kochba Aufstandes von 135 n. Chr. kam es zur Umbenennung der Stadt Jerusalem in Aelia Capitolina, der Vertreibung der Juden (und Christen) aus der Heiligen Stadt sowie der Umbenennung der Provinz Judäa in Syria-Palaestina – ganz bewusst in Anlehnung an die alten „Erzfeinde“.

Zu Beginn des 19. bis Anfang des 20. Jh. konnten sich alle Einwohner der südlichen Levante – Juden, Christen, Muslime – als Palästinenser bezeichnen. Dies galt selbst für bedeutende Führer der zionistischen Bewegung wie Menahem Begin oder David Ben Gurion. Nach der Staatsgründung Israels und der 1. Intifada wurde der Begriff quasi frei und Yassir Arafat machte ihn politisch für sich nutzbar: Die Bezeichnung wurde nun ausschließlich auf die arabische Bevölkerung angewendet und zu dem Namen eines Volkes. Dabei war der anachronistische Rückbezug auf die Philister intendiert. Aus einem geographischen Begriff war ein politischer geworden.

Nun scheint es fast eine Wiederholung des alten Kampfes „Israel gegen die Philister“ – „David gegen Goliath“ zu geben. Allerdings mit vertauschten Rollen: Der größte Teil des ehemals von den Philistern kontrollierten Gebiets gehört heute zu Israel, mit Ausnahme des Gazastreifens, während der größte Teil des Gebiets des alten Königreichs Israel heute im Westjordanland liegt und zum größten Teil zur Palästinensischen Autonomiebehörde gehört.

Im Nahost-Konflikt geht es weder um Religion noch um Archäologie. Doch beide Bereiche lassen sich nutzen und benutzten und sogar missbrauchen, um die je eigene Position zu stärken. Daher hilft eine Kenntnis der Religionen, deren Entstehung, wie auch der Geschichte, um die heutigen Streitpunkte besser verstehen zu können. Durch eine Entmythologisierung verschiedener auf die Religion oder Geschichte bezogener Argumentationslinien kann die Biblische Archäologie dazu beitragen, Diskussionen und Streitpunkte zu entschärfen.

 

Assist.-Prof. Dr. Katja Soennecken, LSRS

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